Niedersächsische Bauernhäuser

Einführung

Durch historische Ortsbilder mit den niedersächsischen Bauernhäusern, Kirchen, Pfarrhäusern, Gutshöfen oder städtischen Bauten aus vergangenen Jahrhunderten stellt sich Niedersachsen innerhalb der nordeuropäischen Tiefebene als eine eigenständige Kulturlandschaft dar. Dies ist heute um so bedeutsamer, wo Tankstellen, Gewerbegebiete, Einkaufszentren und KfZ-Plätze auch kleineren Ortschaften immer stärker ein gesichtsloses Gepräge geben. Bauernhäuser vermitteln uns einen Eindruck von der Heimat und dem Leben früherer Generationen und Jahrhunderte auf dem Lande. Innerhalb Niedersachsens erkennen wir auch regionale Unterschiede der Bauernhaustypen. Daher gliedere ich die Bilder nach Regionen (in der Buchstabenfolge der ersten Reihe).

A Aller-Weser Raum NI VER CE
C Calenberger Land H SPR BU NRÜ
E Elbe-Weser-Dreieck STD CUX BRV OHZ ROW
F Hameln-Pyrmont HM
H Heide HK SOF SOL UE LÜN CE GF H NRÜ
M Mittelelbe-Wendland DAN
L Oldenburger Land OL BRA
O Ostfriesland EMD AUR NOR
R Schaumburger Land SHG RI
S Südniedersachsen HI ALF EIN NOM GAN HOL HMÜ BRL DUD CLZ OHA
T Stilwandel 1920-1950
V Pfarrhäuser
W Landgasthäuser
Y Laves-Stil Stadtbauten

Fahre ich durch die Landschaft, frage ich oft unwillkürlich, wann dieses und jenen Gebäude wohl errichtet worden ist. Finden wir keine Jahreszahl, kann der Baustil weiterhelfen.

Baumaterial

Da ist zunächst einmal die Unterscheidung zwischen Fachwerk und Ziegelbau. Seltener wurde in Niedersachsen Naturstein verwendet, etwa in Steinbruchnähe, also im Mittelgebirge. Landwirtschaftliche Gebäude mit Seitenwänden ganz aus Kalkstein, Kalksandstein oder im Weserbergland aus rotem Wesersandstein gehören meistens zu Gutshöfen; auf diese will ich aber nicht eingehen.

Fachwerkbauten.

Die normale Bauweise war in Niedersachsen seit Jahrhunderten das Fachwerk als statisch tragende Konstruktion aus Holz. Fachwerk kommt aber fast überall in Deutschland, ja in Europa vor, in den Städten oft viel stärker verziert als die Niedersächsischen Bauernhöfe. Die Fächer wurden unterschiedlich ausgefüllt, in Niedersachsen meist mit Astgeflecht (Bild S Bevern HOL), das man verti-kal mit Lehm verputzte. Statt Astgeflecht wurden auch ungebrannte Lehmsteine zum Ausfüllen der Fächer verwendet. Die vielen weiß geputzten Fachwerkhäuser, die wir heute überall sehen, dürften früher mit Lehmputz alle ganz anders ausgesehen haben. Als sich dann für Haus-Neubauten der Ziegelstein durchsetzte, wurden auch die Fächer vieler älterer Bauern-Fachwerkhäuser nachträglich mit gebranntem Mauersteinen verfüllt. Einfache Hintermauersteine hat man verputzt. Sofern Klinker-Fächer heute Zierverbunde, Runen oder hoch und schräg gestellte Ziegel zeigen, sind diese meist erst in jüngerer Zeit eingefügt worden.

In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts wurden häufig ganze Untergeschosse oder auch nur eine Hausseite erneuert; also das Fachwerk durch tragendes Mauerwerk und Beton ersetzt. Da sieht man heute altes Fachwerk im Obergeschoss oder im oberen Teil der Giebelfront und darunter eine viel neuere Hauswand des Untergeschosses ohne Holzbalken. Dadurch konnten die Einfahrten für die Erntewagen vergrößert werden. Durch Umbauten und Ersetzung älterer Fachwerksubstanz ist es oft sehr schwierig, das Baujahr eines Gebäudes anzugeben. Man erkennt den Ursprungszustand viel-leicht gar nicht mehr; es fragt sich auch, ob man angesichts so vieler Veränderungen überhaupt noch die Zeit des ersten Baues angeben soll.

Um die vorletzte Jahrhundertwende wurden im bäuerlichen JugendstilNeubauten errichtet, die von Anfang an nur im Dachgeschoss Fachwerkelemente aufweisen.

Erkennen wir besonders exakt gezimmerte Fachwerke, manchmal mit sehr vielen kleinen gleich-großen Feldern, dann stammen sie meist aus den Jahren zwischen 1800 und dem Ende des Fachwerk-Neubaus. Ich verweise hierzu insbesondere auf die Häuser im Aller-Weserraum, z.B. in der früheren Grafschaft Hoya, wie in A Gadesbünden NI.

Wenn ich an den Gebäuden eine Jahreszahl entdeckt habe, ist diese im Bildnamen angegeben. Sonst beruhen die Jahresangaben auf Schätzungen, gelegentlich auf mündlichen Angaben der Besitzer.

Ziegelbauweise

Ziemlich genau ab 1850setzte sichder Ziegelsteinbauauf dem Lande durch und löste das nieder-sächsische Fachwerkhaus ab. In einigen Regionen wurden jedoch noch bis etwa 1890 Fachwerk-häuser neu errichtet, zum Beispiel im Schaumburger Land. Zwar gab es auch lange vor 1850 schon Häuser aus gebranntem Ziegelstein. Wir kennen Kirchen und Burgen der “Backstein-Gotik” ab 1200. Gebrannte Ziegel gab es bereits in der Antike. Die Brenntechnik wurde um die Gezeitenwen-de von den Römern nach Westeuropa und in die westrheinische Provinz Germanien eingeführt. Von dort gelangte das Ziegel-Brennen nach und nach auch gen Osten. Das Brennen war aber durch die Transporte, das Formen in Holzkästen und die einfache Brennweise in geschichteten Haufen sehr aufwendig und für die leibeigenen Bauern zu teuer. Die Bauweise und das Baumaterial werden ja immer durch die verfügbaren Baumaterialien, den Arbeitsaufwand und die Kosten bestimmt.

Der gebrannte Ziegel-Baustein setzte sich als preiswertes Industrieprodukt gegen Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert mit dem allgemeinen technischen Fortschritt durch. Dampfmaschinen ermöglichten nun maschinelle, fabrikmäßige Vorbearbeitung und das Pressen des Tons, Feldbahnen den Transport des Rohstoffs, Eisenbahnen den Transport von Kohle, Materialien und der Erzeugnisse. Das Ziegelei-Museum in Lage/Lippe (täglich außer Montags zwischen 10-18.oo geöffnet) zeigt auch die Bedeutung des entstehenden Eisenbahnwesens für die damaligen Saisonwanderungen der Lippischen Ziegler, die in weiten Gebieten Norddeutschlands und Nordeuropas tätig wurden.

Unterschiedliche Bauweisen im Flachland und im südniedersächsischen Gebirgsland.

Im niederdeutschen Flachland baute man Fachwerk-Bauernhäuser mit vier, in den Mittelgebirgsge-genden des Südens mit zwei Reihen tragender senkrechter Balken. Zwischen den beiden mittleren Ständern des Vierständerhauses befand sich an einer Giebelfront die Einfahrt für die Erntewagen und dahinter die Diele. Zwischen den beiden Seitenreihen der Ständer wurden das Vieh unterge-bracht und Vorräte verstaut. Beim Zweiständerhaus, das in Südniedersachsen vorkommt, tragen nur zwei Standbalken-Reihen und die Giebelfronten das Dach. Die schrägen Dach-Seiten werden ver-längert und reichen tiefer zum Boden. Durch diese Abseiten entsteht noch etwas niedriger, schräger Raum unter einer oder beiden Seiten des Hauses. Die statischen Elemente und ihre Bedeutung für die Festigkeit des Gesamtbauwerks kann man von außen nicht erkennen. Man wird aber auf den Zweiständertyp aufmerksam durch die niedrigen Abseiten (S Holzen (Ith) HOL).

Während die Giebelwände des niederdeutschen Vierständerhauses nach oben meist durch einen Krüppelwalm des Daches verkürzt sind, reichen die Giebel des Zweiständerhauses bis zur Dach-spitze; bei dieser Hausform ist eine Verbindung der schrägen oberen Dachbalken über der Giebelfront für die Holzstatik des Hauses erforderlich.

Dachformen

In ganz Niedersachsen überwiegt das Walmlmdach; die Giebelwand reicht nicht bis zum Dachfirst. Am häufigsten ist das Krüppelwalmdach, bei dem der Walm erst oberhalb der Traufhöhe der Seitendächer beginnt. Beim Krüppelwalm ist also die Giebelfront mit dem Einfahrtstor höher als beim gewöhnlichen Walm. Als Sonderform kommt auch ein Krüppelwalm vor, der weder oben am First beginnt, noch unten in der Traufhöhe endet. Diese Bauweise ist konstruktiv ungünstig, in Nieder-sachsen aber häufiger gebräuchlich. Ursprünglich war das obere senkrechte Dreieck am First offen und sollte zum Dunst und Qualm-Abzug aus dem Einhaus dienen. Diese Dachform (siehe A Gades-bünden 1835 und C Hiddesdorf 1905) wird auch Niedersachsengiebel genannt; oft ist der oberste Firstgiebel mit gekreuzten Niedersachsen-Pferdeköpfen verziert. Dieses Element trifft man vor al-lem in den Heideregionen und den früheren welfischen Landen an..

Walm, Krüppelwalm und Niedersachsenwalm kamen schon früh bei Fachwerkhäusern und bis heute bei Ziegelbauten vor, sowohl bei Strohdächern als auch bei Ziegeldächern. Auch ohne Walm (Satteldach) sind aber Giebelfronten oder deren oberer Teil oft mit Schiefer, Platten, heutzutage auch Dachziegeln verblendet. Im Schaumburger Land ist diese Verkleidung nach unten hin vorgewölbt (Bilder R Wendhagen SHG). Man spricht da von der „Schaumburger Mütze“.

Getrennte Unterbringung von Mensch, Vieh und Ernteerzeugnissen

Eine weitere Wende der Baugestaltung ist der Übergang vom Niederdeutschen Einhaus, in dem Menschen, Vieh und Ernte in einem Gebäude unterkamen, zum Bauernhof mit separaten Gebäu-den, also Bauern-Wohnhaus, Stallungen und Scheunen. Diese Trennung hatte bereits vor der Jahr-hundertwende 1800 begonnen. Frühe Häuser dieses Typs haben noch ein sehr niedriges Oberge-schoss mit auffallend kleinen Fenstern. Aus der Zeit 1800 bis 1850 finden wir in niedersächsischen Dörfern Fachwerkhäuser mit zwei Vollgeschossen. Die Dachtraufe liegt nun oberhalb des zweiten Stockwerks, und nicht wie beim Einhaus über dem Erdgeschosses . Diese Häuser zeigen wegen des jüngeren Baudatums (ab 1800) eine größere Regelmäßigkeit der Fachwerk-Balken-Felder. Mehr und mehr wurden bäuerliche Wohnhäuser mit erhöhtem Keller gebaut, weil man nicht mehr Vieh hineintreiben oder mit dem Erntewagen hineinfahren will. Es gibt aber aus der Anfangszeit auch noch solche zweigeschossigen Fachwerkhäuser mit Dielen-Einfahrten, ohne Hochparterre.

Der reine Wohncharakter der zweigeschossigen Bauernhäuser ab 1800 wird auch deutlich an den beschaulichen Eingangsveranden, die wir heute vielfach zum Garten hin finden; man ahnt noch den Zeitgeist der Romantik.

Mit dem Abschied vom Einhaus, mit der Errichtung getrennter Bauwerke für Mensch, Vieh und Vorräten, von Wohnhäusern, Landarbeiterunterkünften, Ställen und Scheunen erhielten die Höfe und Dörfer ein anderes Gesicht. Diese entscheidende Veränderung der niedersächsischen Landschaft begann schon um 1800 und setzte sich ab 1850 mit der Veränderung der Bauweise vom Fachwerk zum Ziegelstein bei Neubauten noch einmal verstärkt fort. Wegen begrenzter Grund-stücksflächen innerhalb der Dörfer der Regionen mit guten Böden kommt es vielfach zu einer sehr gedrängten Bebauung. Scheunen und Ställe müssen oft direkt an das Wohnhaus angebaut werden. Die Dörfer der Heide haben dagegen meist im Ortsinnern reichlich Platz und die Großzügigkeit der Orte und der einzelnen Hofflächen gestatten eine sehr lockere, weitläufige Bebauung. Es konnte viel ausrangiertes Gerät auf den Hof-Grundstücken abgestellt werden.

Der Übergang vom Fachwerkgebäude zum reinen Ziegelsteinbau ab 1850 erforderte erhebliche Ver-änderungen des Bauwesens Diese mussten mit neuen Handwerkstechniken und Berufen gemeistert werden. Man denke etwa an die Wasserversorgung und die Schmutzwasser-Ableitung. Für die Einfahrten gemauerter Scheunen mussten weit überspannende Techniken entwickelt werden; der Korbbogen war hierfür eine besonders elegante Mauerform (siehe F Selxen HM 1867).

Mit dem Backstein wurden auch die Dachziegel eingeführt, was enorme handwerkliche, berufliche Veränderungen in der Dachdeckerei zur Folge gehabt haben muss. Vordem waren bekanntlich Strohdächer in Niedersachsen üblich. Im Weserbergland kann man heute noch vereinzelt Natur-stein-Platten aus rotem Weser-Sandstein als Dachbedeckung ausmachen.

Aufhebung der Leibeigenschaft und Neuordnung des dörflichen Grundbesitzes

Der Übergang zu aufwendigen Bauernhäusern aus Ziegeln fiel in die Zeit um 1866, als Hannover preußische Provinz wurde. Einzelne ländliche Ziegelbauwerke finden wir noch aus der Zeit des 1866 untergegangenen Königreichs Hannover. Das relativ späte Aufkommen von größeren Ziegelbauwerken der Calenbergschen Bauern in der Mitte des vorvorigen Jahrhunderts mag etwas mit der Politik der Hannoverschen Könige zu tun gehabt haben. Die Bauern litten in Hannover 20 Jahre länger als in Preußen, wo die Bauernbefreiung von der Leibeigenschaft bereits mit dem Stein-Hardenbergschen Reformwerk eingesetzt hatte. In Hannover kam die Bauernbefreiung erst mit dem Ablösungsgesetz von 1831; sie wurde aber 1837 mit der Aufhebung des Staatsgrundgesetzes (gegen die die „Sieben Göttinger Professoren“ erfolglos protestierten) wieder eingeschränkt. Erst mit der Hannoverschen Verfassung von 1848 wurden weitgehende Standesvorrechte des ländlichen Adels abgeschafft und die erste Kammer in Hannover eine Domäne des bäuerlichen Grundbesitzes. Auch in der Industrieansiedlung lag das Königreich Hannover zurück; erst 1856 wurde die Georgsmarien-hütte bei Osnabrück und 1858 die Ilseder Hütte gegründet.

Zum Reichtum der Bauern und damit zur aufwendigeren Gestaltung der Bauernhäuser und -Höfe hat dann auch das Aufkommen des Kunstdüngers beigetragen.

Rundbogen-Fenster und -Türen

Unter den frühen Ziegelsteinbauten findet man im Calenberger Land Bauernhäuser mit Rundbögen über Fenstern und Türen. Solche Häuser konnte ich um 1865-1869 datieren. Ich vermute hier den Einfluss der Baumeister des Königreichs Hannover (städtische Laves-Bauten- siehe Abschnitt Y). Die wohlhabenden Bauern wollten mit den städtischen Bauwerken der welfischen Lande mit-halten. Welch ein Schritt von einem Fachwerkhaus mit Lehmfüllung zu solchen repräsentativen Bauern-Palästen! Auf Bauernhäuser aus dieser Zeit mit Rundbogen richte ich immer mein besonderes Au-genmerk! Ein bemerkenswertes Bauernhaus dieses Typs steht in Jeinsen bei Pattensen (C Pattensen H), das 1869/70 errichtet worden sein soll, laut Auskunft einer Bäuerin nach Verdrängung der Vor-fahren aus dem Industrieansiedlungsgebiet in Ilsede. Zum Vergleich verweise ich auf Rundbogen-fenster in Stadtbauten der Hannoverschen Königszeit (bis 1866) unter Abschnitt Y.

Holländischer Baustil

Einige frühe Häuser in Ziegelbau lassen holländische Stilmerkmale erkennen: Verwendung von Sandstein-Elementen an den Hausecken und den Einfassungen der Fenster und Türen. Ein Haus in F Bisperode HM hat das früheste von mir im Hannoverschen für diesen Typ entdeckte Baudatum 1858! Dort kam der helle Kalksandstein des Ith-Gebirges praktisch am Dorfrand vor und der Bauer hatte schon zwei Jahre zuvor das gesamte Untergeschoss einer Scheune aus Kalk-Sandstein-Qua-dern errichten lassen.

Eine kurze Zeit lang hat man um die Jahrhundertwende 1900 Sandsteinelemente an Hauskanten, Fenstern und Türen durch weißen Putz nachgeahmt. Das sprengt etwas den niedersächsisch bäuerlichen Rahmen. Diese Fenstereinfassungen fallen in Putz meistens noch breiter aus als Natur-Sandstein-Elemente. Dadurch erscheinen die Außenfronten oft zu klein für die vielen Fenster mit ihren betonten Umrandungen.

Der Bauernpalast

Nach 1870 kommen Rundbögen über Fenstern praktisch nicht mehr vor. Für die mehrgeschossigen Bauernhäuser wurden der Mauerstein und der Mauerverband sowie Ornamentfriese an den Außenwänden zur optischen Gliederung der Geschosse immer anspruchsvoller. Giebel- und Seitenwand-Aufbauten überragen gelegentlich die Dachtraufe oder den Dachfirst; das dürfte von der städtischen Backstein-Renaissance beeinflusst sein.

Ab etwa 1880 werden die Häuser auf dem Lande immer größer und aufwendiger. Für die Außen-verkleidung werden nicht mehr nur gute Vordermauersteine, sondern dunklere, hart gebrannte Klin-ker, z.T. feinste Riemchen halbsteinig vermauert oder als Zierverblender vorgesetzt. Mehr und mehr kommen Glasursteine an den äußeren Hausfronten in Mode. Die Einfassungen von Fenstern und Türen sind in dunkelgrünem, später in schwarzrotem Glasurstein gehalten. Die Fensterbänke aus solcher Keramik werden schräg nach unten geneigt, günstig zur Regenwasserabweisung! Durch die dunklen Ziegel und Glasursteine erinnern Bauernhäuser aus der Zeit zwischen 1890 und 1905 gele-gentlich an ein Reichspostamt oder andere Verwaltungsbauten (siehe Pfarrhaus V Aerzen HM).

Die unterschiedliche Gestaltung der Fassaden, der Friese und die Verwendung von Mauersteinen, Klinkern, Verblendsteinen hing wohl nicht nur vom Zeitgeist, sondern auch davon ab,welcher Bau-meister (Architekt oder Maurermeister) die Häuser entwarf und welche Ziegelei welche Fries-Steine herstellte. Es gab damals viel mehr Ziegeleien und das Verbreitungsgebiet ihrer Produkte war ungleich kleiner als heutzutage. Es scheint mir zwar, dass die Bauernhäuser im Calenbergischen Land auf den ertragreichen Lößböden südlich der Stadt Hannover am aufwendigsten aus-fallen. Große, aufwendige Bauernpaläste kommen aber nach 1850 in fast allen Teilen Niedersach-sens mit reichen Lößböden vor. Ganz überwiegend in rotem Backstein; es gibt aber auch aufwen-dige Bauernhäuser im verputzen Gewand, insbesondere aus der Zeit ab Jugendstil bis heute.

Eingangsgestaltung

Auch große Bauern-Wohnbauten des ausgehenden 19. Jahrhunderts haben vielfach nur schmucklo-se Türen, manchmal mit einem bescheidenen Vordach, u.U. noch heute mit Gestellen und Zieraufbauten aus Schmiedeeisen. Ab etwa 1900 kommen gelegentlich Eingänge oder Eingangsvorbauten mit zwei Bogen und einer Mittelsäule vor (hier können wir wirklich von Bauern-Palast sprechen). Dieses Element fand ich nicht nur im Calenberger Land, sondern z.B. auch m Lüneburgischen (H Kirchweyhe UE).

Bäuerlicher Jugendstil 1900-1914

Nach dem manchmal kalt wirkenden Bauernpalast fand ab 1900 wieder Fachwerk Eingang in die Baugestaltung auf dem Lande. Der freundlichere Jugendstil wurde überall modern und da mussten die Bauern keineswegs zurückstehen. Die Jugendstilelemente wurden aber auf dem Dorf im allgemeinen nicht so stark verwendet wie in Städten, wo man in den Villenvororten seinerseits einem „ländlichen Jugendstil“ huldigte. Auf dem Lande begnügten sich der Baumeister jedenfalls in Nie-dersachsen mit einem vorsichtigen Fachwerk im Dachgeschoss. Ich spreche hier vom bäuerlichen Jugendstil.

Später Jugendstil 1920-1930 (Bilder in Abschnitt T)

Stilelemente des Jugendstils finden wir ansatzweise auch noch in Bauten bis etwa 1930 (sehenswert T Ottingen SOL 1928).

Der Baustil der NS-Zeit

Interessant sind Häuser aus der Nazizeit. Im bäuerlichen Bereich ergaben sich Umsiedlungen ganzer Dörfer aus den für Truppenübungsplätze beanspruchten Heideregionen um Bergen, Munster, Soltau, Fallingbostel. Einige Ersatzbauten habe ich im Raum Uelzen entdeckt, ein Bauern-Wohnhaus in H Kirchweyhe UE mit besonders elegantem Giebel, der an Giebelfronten von Scheunen im Calenberger Land aus der Zeit um 1900 erinnert. In anderen Häusern dieser Zeit wird Fachwerk mit Ziegel-Verband-Dekoration und sogar mit germanischen Runenzeichen verwendet. Solche Ornament-Füllungen gehören manchmal aber zu älteren Bauernhäusern, die in der NS-Zeit oder danach modernisiert wurden.

Bauten mit seitlich flach auslaufenden Schleppgauben im Dach, meistens sehr breit und mit vielen kleinen, nebeneinander liegenden Scheiben, dürften bis etwa 1939 zu datieren sein (T 1938/39).

Sicherlich hatten die Partei und der NS-Staat auch die bäuerliche Architektur in ihrem ideologi-schen Blick, besonders im heutigen Niedersachsen. Widmeten die Nationalsozialisten doch ihre besondere Aufmerksamkeit dem Bauernstand, weil die Ernährung der nach dem verlorenen ersten Weltkrieg, nach Inflation und Arbeitslosigkeit ausgehungerten Bevölkerung für die Akzeptanz des NS-Regimes von entscheidender Bedeutung war. Das Regime kümmerte sich deshalb z.B. auch um die Entschuldung der Bauernhöfe. Im Hinblick auf die angestrebte Unabhängigkeit von den Welt-märkten sprach man von der Ernährungsschlacht. Ländliche Genossenschaften und Selbstverwal-tungs-Institutionen unterstellte man dem Reichsnährstand. In jedem Dort und Landkreis gab es Orts-oder Kreisbauernführer. Und das Bauernhaus im heutigen Niedersachsen wurde als ein Urtyp germanischer Siedlung angenommen.

Nicht zufällig gab es in Niedersachsen wichtige NS-Einrichtungen zum Bauerntum: Reichserbhofgericht in Celle.

Reichs-Erntedankfeste am Bückeberg bei Hameln; Reichsbauernstadt Goslar mit

Verwaltungsamt des Reichsbauernführers und Sitz des

Reichsnährstandes, der bäuerlichen Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts,

Verlagen des Reichsnährstandes für Themen der bäuerlichen Hof- und Sippenforschung.

Truppenübungsplatzes Soltau-Fallingbostel : Der Standortkommandant gab ein großes Buch über die Dörfer, die Höfe, die Familien und die Ahnen aus dem dortigen Umsiedlungs-Gebiet heraus.

Sieht man sich die in der NS-Zeit errichteten Bauernhäuser genau an, wird aber deutlich, dass der Baustil eigentlich nur das weiter führt, was sich bereits seit dem ersten Weltkrieg entwickelte. Die gesamte Architektur war mit dem Auslaufen des Jugendstils im Umbruch (Gropius, Bauhaus, Modernes Bauen in den Städten usw.).

Das kastenförmige Bauernhaus in Klinkerbauweise

Aus jüngerer Zeit sieht man gelegentlich den zweigeschossigen kubischen Klotz aus dunkel-rotblau glänzendem Klinkerstein. Manchmal mit einer schlichten vorstehenden Ziegel-Kante zur Stockwerksgliederung. (C Argestorf H 1940). Hier dürfte der die Städte beherrschende Stil des NEUEN BAUENS (vgl Südstadt Hannover) Pate gestanden haben. Zeitlich kann man Bauernhäuser dieses Stils von außen kaum recht einordnen.

Kleinbauernhäuser

Halbbauern, Viertelbauern, Achtelhöfe, Kossäten-, Anbauern-, Kolonisten-, Häuslings-Häuser, Katen, Buden. Auch von solchen Typen zeige ich hier besonders markante Bauwerke, wenn sie die Strukturelemente des niedersächsischen Bauernhauses im Kleinen benutzen. Die meisten unserer niedersächsischen Vorfahren dürften in solchen Wohnstätten gelebt haben

Pfarrhäuser (Bilder im Abschnitt V)

Sie wurden früher meist dem örtlichen Baustil angepasst und können zu Vergleichen dienen

Umbauten

Immer weniger Bauernhäuser sind im ursprünglichen Baustile erhalten. Es wurde ständig angebaut und umgebaut und oft kamen sicherlich zweckmäßige und auch schöne Bauwerke heraus. Es geht mir aber gar nicht um die Ästhetik des heutigen Aussehens. Im Gegensatz zu städtischen Bürgerhäusern kommt es ja bei Bauernhöfen auf die Anpassung an die jeweilige Landtechnik und die Gruppierung mehrerer Gebäude zu einander an. Interessant sind für mich gerade auch die Verbin-dungen verschiedener Baustile.

Viele Bauernhäuser und ganze Hofstellen werden heute gar nicht mehr landwirtschaftlich genutzt. Es sind zum Teil feine, elegante Wohnstätten, Schmuckstücke von Bau-und Wohnkultur, umgeben von schönen Gärten, Parks in den früheren Hofanlagen. Wenn die Einbettung in Ort und Landschaft gewahrt wird, halte ich das für eine hervorragende, nicht selten museumsähnliche, Landschaftsprägende Art der Erhaltung und Repräsentation des niedersächsischen Lebensraums.